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Beitrag vom 24.03.2005
Mythos und Gegenwart in der Galerie Nehring + Stern bis zum 07.05.2005
Sabine Grunwald
Die Bronzeskulpturen von Bärbel Dieckmann und Henri Deparades Bilder schöpfen aus der Mythologie, ohne die die menschliche Existenz noch schlimmer, wenn nicht unmöglich wäre
Else Lasker-Schüler schreibt in ihrem Gedicht "Weltende" kurz vor ihrem Tod:
Es ist ein Weinen in der Welt,
als ob der liebe Gott gestorben wär,
und der bleierne Schatten, der niederfällt,
lastet grabesschwer.
Komm, wir wollen uns verbergen...
Das Leben liegt in aller Herzen
wie in Särgen.
Du! Wir wollen uns tief küssen -
es pocht eine Sehnsucht an die Welt,
an der wir sterben müssen.
Die Bronzefiguren von Bärbel Diekmann sind zum Anfassen schön und haben größtenteils ihre Inspiration aus der Geschichte. Ikarus, der der Sonne zu nahe kam, der "geile" Minotaurus und andere Figuren der Mythologie nehmen uns mit in eine versunkene Welt und berühren doch ein tiefes Wissen, das nie verloren geht.
Auch die Bilder von Henri Deparade, schwarz konturiert und in leuchtenden Farben gemalt, beschäftigen sich mit dem Zauber der Sagen und Mythen. "Das Urteil des Paris", "Jason/Glauke/Medea entführen die Betrachterin in eine vergangene Zeit.
Die Mythen sind lebendig, sind Teil unserer Gegenwart und finden immer wieder Ausdruck als Äußerung, als Kunstwerke. Das Wesen des Mythos ist nicht nur das bloße Geschichtenerzählen, sondern auch Unbewusstes ins Menschliche zu transportieren, vorzugsweise im Kunstwerk auszudrücken. Diesem Unbewussten künstlerisch Gestalt zu verleihen, ist Sinn und Inhalt der Auseinandersetzung mit dem Thema "Mythos".
Der Mythos ist die metaphysische Rechtfertigung für unsere Existenz und Gegenwart, er ist die Musik der Welt. Das menschliche Wirken allein kann kein Dasein und keine Gegenwart begründen. Die künstlerische Beschäftigung mit dem Mythos ist gleichwohl die Beschäftigung mit unseren Ursprüngen, Grundlagen und den Zukunftsperspektiven unserer Welt.
Eine häufige künstlerische Darstellungsform ist der Torso, der verletzte Gott, Halbgott oder Mensch, der Minotaurus, der tödlich getroffene Ikarus. Sie sind Gleichnisse für unser bruchstückhaftes und provisorisches Leben in der Gegenwart, für unsere Zukunftsangst, den Verlust der Spiritualität und Religiosität in unserem Dasein. Wir haben den Konsum und das Kapital anstelle des Tanzes um das goldene Kalb zum Fetisch gemacht und sind nahe daran unsere humanistischen Ideale zu verlieren. Materielles und technische Denken haben die heiligen Schriften ersetzt. Alles scheint machbar zu sein und dient doch nur der Gewinnmaximierung. Doch gibt es weiterhin Unbekanntes und Unerklärbares und was uns bleibt, ist das Verlangen nach Sinn und Inhalt unseres Daseins.
Die Zeitlosigkeit der Kunst ist unser Trost für das Weinen und Sterben in und an der Welt. Sie stillt die Sehnsucht nach dem Schönen und Geborgenen.
Zur Künstlerin:
Bärbel Diekmann, geboren 1961 in Bielefeld lebt in Berlin. Die Künstlerin hat visuelle Kommunikation und Bildhauerei im Fachbereich Design der Fachhochschule Bielefeld studiert. Anschließend hat sie von 1991 bis 1994 einen Lehrauftrag an der Meisterschule für Steinbildhauer in Kaiserslautern inne. Sie ist Mitglied der Darmstädter Sezession und des Künstlersonderbundes Deutschland. Bärbel Dieckmann steht in der Tradition des Bildhauers Wilhelm Gerste. Dies war ausschlaggebend für ihre Ausrichtung auf eine klassizistische Figurenauffassung. Bärbel Dieckmanns Skulpturen wurden bisher in Deutschland, USA, Frankreich, Italien, Österreich, Ungarn und den Niederlanden gezeigt.
Sie bekam mehrere Kunstpreise, unter anderem den Gustav-Weidanz-Preis für Plastik der Burg Giebichenstein, Halle und den Förderpreis der Darmstädter Sezession.
Zum Künstler:
Henri Deparade 1951 in Halle/Saale geboren, studierte an der Hochschule für Kunst und Design in Halle "Burg Giebichenstein" bei Hannes H. Wagner und Frank Ruddigkeit, Meisterschüler bei Willi Sitte. Ab 1982 freischaffend als Maler und Grafiker, seit 1992 Professor für künstlerisches Gestalten in Dresden. Er lebt und arbeitet in Dresden.
Was Deparade, einen im wesentlichen gegenständlichen Maler, Zeichner und Grafiker, der gelegentlich Ausflüge in die gestische Abstraktion unternimmt, auszeichnet, ist seine hohe Farbkultur. Sowohl auf der Leinwand, als auch auf dem Papier sind ihm Formulierungen von großer sinnlicher Dichte gelungen. (Andreas Kühne)
Mythos und Gegenwart
Henri Deparade Malerei
Bärbel Diekmann, Bronzeskulpturen
Ort:
Galerie Nering + Stern
Auguststraße 83
10117 Berlin-Mitte
Öffnungszeiten:
Di. - Sa. 14 - 19.00 Uhr
Ausstellungsdauer:
17.03.05 - 07.05.05
Finnissage: Sa. 07.05.05 von 16.00 bis 21.00 Uhr
www.neringundstern.com